Die Gelenktriebwagen
des Typs KT4D
in Brandenburg an der Havel
Als Folge der Aufgabenteilung der Straßenbahnproduktion im
Rahmen des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) ist
im Jahre 1968 die Produktion von Straßenbahnen in die
damalige Tschechoslowakei verlagert worden. Fortan kamen
alle Neubaufahrzeuge aus der ČSSR. Das ČKD-Werk
in Prag übernahm noch den Bau von Wagen des Gotha-Typs für die DDR, so u.a. auch für Brandenburg,
stellte ihn aber zum Ende des Jahres 1968 ein.
Innerhalb des Straßenbahn-Gelenktriebwagen-Bauprogramms der ČKD-Werke
wurde dann für mittelgroße Städte der DDR ein neuer Typ, der
KT4 (Kurzgelenktriebwagen 4 Achsen), entwickelt.
Eine Erprobung derartiger Fahrzeuges für Normalspur fand
von 1974-1975 in Potsdam statt.
Nun mussten sich die Verkehrsbetriebe damit vertraut
machen, Voraussetzungen zu schaffen, den Gelenktriebwagen mit der Typenbezeichnung KT4D
in Meterspur auch in Brandenburg
an der Havel einzuführen.
Im Jahre 1977 begann die Serienfertigung des KT4D. Die
ersten Meterspurbetriebe, die diese Wagen kauften, waren
Erfurt und Gera. Auch bei den Verkehrsbetrieben Brandenburg
(VBB) begannen in diesem Jahr die Vorbereitungen für diesen
Straßenbahntyp. Aus Erfurt wurde ein sogenanntes
Phantomfahrgestell beschafft, um damit das Straßenbahnnetz
in der Innenstadt und zur Quenzbrücke abzufahren. Die
Stellen, wo ein Begegnungsverbot auszusprechen, wo
Gleisabstände zu verändern und wo Bahnsteigkanten ins Profil
ragten, hat man so ermittelt.
Allen Verantwortlichen im Betrieb war klar, dass dieser
Wagentyp auf Grund der geringen Tragfähigkeit der Brücken
zum Görden und nach Plaue nicht im gesamten Netz eingesetzt
werden konnte. Somit eigneten sich die Streckenabschnitte
mit dem größten Fahrgastaufkommen nicht für den Einsatz des
KT4D. Die damalige Entscheidung, dass die Wendeschleife in
Kirchmöser West ebenfalls nicht mit KT4D befahren werden
konnte, erwies sich später als falsch, denn ab dem 3.1.1999
konnten sogar Tatrawagen mit Niederflurmittelteil nach
Kirchmöser eingesetzt werden.
Im Ministerium für Verkehr der DDR (MfV) wurde eine
Arbeitsgruppe gebildet, die die KT4D auf die Bezirks- und
Kreisstädte verteilte. Vorrangig berücksichtigte man die
Bezirksstädte, die keine T3D- bzw. T4D-Fahrzeuge erhalten
hatten, dazu zählten auch Potsdam und Berlin.
Durch die VBB wurden auf Drängen der damaligen
SED-Kreisleitung und Parteileitung des Stahl- und Walzwerkes
Brandenburg beim MfV zunächst zwei Fahrzeuge beantragt, für
die eine Zusage für das Jahr 1979 erfolgte.
Ein Betriebsvertreter nahm beide KT4D in Prag ab. Er hatte
aber den Wunsch, die Fahrzeuge in beige zu bekommen. Die
Standardfarbe war rot/weiß. Für eine Lackierung in der
Wunschfarbe hätte diese vom Besteller mitgeliefert werden
müssen, was aus Materialgründen nicht erfolgen konnte.
Unterdessen liefen die Vorbereitungen für die Entladung des
KT4D auf Hochtouren. Da die Straßenbahn keinen direkten
Gleisanschluss zur damaligen Deutschen Reichsbahn hatte,
musste eine Entladetechnologie entwickelt werden, die ein
Entladen der Wagen mit 18 m Länge mit einem Leergewicht von
20 t ohne Blessuren ermöglichte. Pfiffige
Kollegen der Werkstatt bauten einen aus U-Trägern
zusammengeschweißten sogenannten Schlitten.
Der KT4D wurde angehoben und der Schlitten drunter
geschoben. Nach dem Absetzen sollten kräftige Zugmaschinen
ihn auf die Entladerampe ziehen. Die zunächst bestellten
Zugmaschinen hatten nicht die Kraft, den Schlitten zu
bewegen. Schwerere Zugmaschinen der ehemaligen Volksarmee
kamen zur Hilfe.
Eine weitere Schwierigkeit war, dass die Entladerampe (Kopframpe 1, Gleis
12 des Brandenburger Güterbahnhofs) in
einem Winkel von ca. 90º zu den Straßenbahngleisen lag und
der Schlitten entsprechend gedreht werden musste.
Viele Brandenburger verfolgten aufmerksam diesen Akt, so
u.a. auch die in der Nähe gelegene ABI (Arbeitschutzinspektion),
die misstrauisch diesen Vorgang beobachtete und prompt eine
Geldbuße wegen Nichteinhalten von Sicherheitsmaßnahmen
aussprach. Am liebsten hätte man diese Art der Entladung
ganz verboten, aber es gab keine andere Alternative.
Der erste Wagen traf am 28. Mai 1979 ein, der zweite folgte
drei Tage später. Sie erhielten die Betriebsnummern 170 und
171.
In dem langen Zeitraum zwischen Eintreffen und
Aufnahme des Linienverkehrs fanden umfangreiche Einweisungen
für Schlosser, Elektriker und Fahrer auf diesen Fahrzeugtyp statt.
Die Freude über die neuen Wagen war kurz, denn am 9. Juni
l979 wurde der zweite Tatra (Wagen 171) und einige
Gothawagen durch Brandstiftung erheblich beschädigt bzw.
zerstört. Gott sei Dank konnte man den Täter nach längerer
Zeit überführen. Die Instandsetzungsarbeiten dauerten bis November
1979.
Aber erst am 04. Oktober 1979 konnte der Wagen 170 auf der
Linie 3, also rechtzeitig zum 30. Jahrestag der DDR, zwischen Neust. Markt und Quenzbrücke eingesetzt
werden.
Nach Beseitigung der festgestellten Oberbaumängel verkehrten
die KT4D ab dem 27. Januar 1980 auch auf der Linie 2 über
den Hauptbahnhof.
TW 171 wartet am späten Abend am Hauptbahnhof,
August 1980, © H. M. Waßerroth
(damals fuhren die Bahnen noch bis tief in die Nacht)
Doppeltraktion mit TW 175 auf der Linie 2 während
Bauarbeiten in der Hauptstraße auf dem linken Gleis,
© H. M. Waßerroth
Am 15 . Mai 1980 fuhren beide Wagen erstmals in
Doppeltraktion auf der Linie 2. Nach der Jahreswende 1979/80
standen in der 1911 erbauten Wagenhalle die neuen
Arbeitsgruben für die KT4D zur Verfügung. Im Rahmen einer
Ratiomittelfertigung bauten Fachleute des Stahl- und
Walzwerkes einen Tatra-Hebestand, der im Jahre 1981 auf
Gleis 5 eingerichtet wurde.
Um die Entladung oder Verladung von Straßenbahnwagen künftig
einfacher durchführen zu können, bemühte man sich um einen
Gleisanschluss im Werk für Gleisbaumechanik in Kirchmöser,
unmittelbar an der Wendeschleife Kirchmöser West gelegen.
Nach Erteilung der Genehmigung wurde ein Überladegleis von
47 Meter Länge und einer Anschlussweiche von der
Ankunftshaltestelle bis zu einer Kopframpe der Werkbahn am
WGM-Nordtor errichtet. Eine Fahrleitung wurde hier nicht
benötigt, da das Be- und Entladen mittels Straßenfahrzeuge
erfolgte.
Weiterer Neuzugänge von KT4D erfolgten 1981. Die ersten vier
Wagen, Nr. 172 bis 175 wurden am 13. und 18. Juni 1981 am
Güterbahnhof Brandenburg entladen. Die am 20. und 28. Juni
1981 folgenden Wagen Nr. 176 bis 178 bereits in Kirchmöser
West. Ein Arbeitstriebwagen zog die neuen Wagen jeweils ins
Depot. Für das erforderliche Befahren der Plauer- und
Gördenbrücke wurde eine Sondergenehmigung erteilt.
In der Zeit vom 26. Juni bis zum 15. Juli 1983 trafen
weitere sieben Fahrzeuge ein. Sie erhielten die Nr. 179 bis
185. Somit verfügten die VBB über 16 KT4D.
Foto:
unbekannt, Slg H. M. Waßerroth
Ankunft eines neuen KT4D an der Entladerampe in
Kirchmöser West,
© Slg.
H. M. Waßerroth
Ursprünglich plante man sogar 21 Wagen, aber wegen des
beschränkten Einsatzes kamen sie zu anderen
Verkehrsbetrieben.
Die nun vorhandenen 16 KT4D konnten, wenn auch in
Doppeltraktion, nur auf den Linien 2 und 3 eingesetzt
werden, so dass max. 10 Fahrzeuge im Einsatz waren.
Immer wieder versuchten die VBB mit Anträgen, eine
Genehmigung zum Befahren der Gördenbrücke mit KT4D zu
erreichen. Abermals musste sich die SED-Kreisleitung und das
Stahl- und Walzwerk Brandenburg einschalten. Am 01.12. 1983
wurde dann endlich die Genehmigung mit Auflagen erteilt.
Jeweils nur ein Straßenbahnzug, Gotha oder ein KT4D, durfte
die Gördenbrücke befahren. Die Höchstgeschwindigkeit durfte
10 km/h nicht überschreiten. Ein Begegnen oder Nachfahren
von Straßenbahnzügen war grundsätzlich verboten. Hierzu
wurde eine speziell schaltende Signalanlage aufgebaut.
Für alle im Gleisnetz vorhandenen Nachläufersignalanlagen
gab es vor dem Einschalten der Hauptsignalanlage eine
Vorsignalanlage, die so angebracht wurde, dass den
Richtung Stadt fahrenden Zügen der Vorrang zum Einfahren in die
signalgeregelte Strecke gab. Dieses Verfahren galt auch vor
der Gördenbrücke. Auf der stadtwärtigen (Süd-)Seite der Brücke
führte es aber zeitweilig zu einem Stau des übrigen
Straßenverkehrs, der das in die Stadt führende Gleis kreuzte und so
oft die Richtung Stadt fahrende Bahn behinderte. Damit erhielt
eine nachfolgende Bahn nicht mehr die Möglichkeit zum
Ausschalten der Anlage. Kurzerhand wurde entschieden, die
Vorsignalanlage an dieser Brücke in die landwärtige Richtung
zu verlegen. Der Erfolg zeigte sich sofort, es kam kaum noch
zu Staus.
ATW 304 hat gerade die alte Gördenbrücke überquert
und fährt Richtung Stadt, Sommer 1989, rechts am
Fahrleitungsmast die Signalanlage für die Straßenbahn und
oben am Querträger das Signalschild für die
Höchstgeschwindigkeit 10 km/h, © H. M. Waßerroth
Die Überprüfung der Belastbarkeit der Brücke erfolgte durch
Brückenverantwortliche halbjährlich. Zur weiteren Entlastung
der Brücke wurde sie im Februar 1984 nur für
Straßenfahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von 2 t zugelassen.
Ein Brückenersatzbau war dringend erforderlich. Alle
sprachen zwar vom Neubau, aber mal war kein Geld da, ein
andermal keine Baukapazitäten vorhanden.
Es sollte noch bis Oktober 1989 dauern, ehe mit dem
Ersatzbau begonnen werden konnte. Er wurde so konzipiert,
dass die Straßenbahn eine eigene Trasse bekam und damit die
Kollisionspunkte mit dem Straßenverkehr vermieden wurden.
Am 28. Oktober 1991 war die neue Brücke soweit
fertiggestellt und die Trassen provisorisch angeschlossen,
dass erstmalig mit KT4D in Doppeltraktion in Richtung
Hohenstücken-Nord und zur Anton-Saefkow-Allee gefahren
werden konnte. Diese Maßnahme kam für den Betrieb aber zu
spät. Die Fahrgastzahlen hatten sich inzwischen um fast 50%
reduziert.
Im Jahre 1988 hatten die VBB große Schwierigkeiten,
anstehende Hauptuntersuchungen (HU) durchzuführen. Da zu
diesem Zeitpunkt noch nicht alle KT4D eingesetzt werden
konnten, standen sie sich kaputt, bzw. es wurden Ersatzteile
ausgebaut. Die Verkehrsbetriebe Gera erklärten sich bereit,
an zwei Fahrzeugen eine HU durchzuführen, mit der Maßgabe,
diese danach für ein Jahr auf ihrem Streckennetz fahren zu
lassen. Auserkoren waren die Wagen 171 und 175. Wagen 175
verließ Brandenburg am 01.12.1988, Wagen 171 am 11.09.1989.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die VBB das höchste
Fahrgastaufkommen zu bewältigen. Es herrschte Wagenmangel,
die vorhandenen Wagen waren fast rund um die Uhr im Einsatz.
Im gegenseitigen Einvernehmen erklärten die VB Gera ihre
Bereitschaft, die beiden KT4D zu behalten und als Ausgleich
nicht mehr benötigte Gotha Dreiwagenzüge nach Brandenburg zu
liefern. Somit waren nur noch 14 KT4D im Bestand.
Im Jahre 1991 standen erneut HU an. Die Hauptwerkstatt
S-Bahn, Berlin Schöneweide hatte freie Kapazitäten, HU
durchzuführen. Der Wagen 176 wurde im April 1991 und 178 im
Mai 1991 hauptuntersucht.
Ab 1992 bot sich Schöneweide an, alle HU zu übernehmen und
die Wagen zu modernisieren. Wagen 173 kam am 11.01.1992 nach
Berlin und kehrte am 05.08.1992 modernisiert zurück.
Äußerlich unterschied sich der Wagen durch die Farbgebung in
den Betriebsfarben grün/beige und die
Bode-Außenschwingtüren. Weitere Veränderungen sind:
Heizungs- und Lüftungsanlage, gepolsterte Sitze,
Fahrgastinformationssystem durch Haltestellenansage und
-anzeige, bessere Ausleuchtung des Fahrgastraumes,
Geräuschminderung, Verbesserung des Fahrerarbeitsplatzes und
der Stegmann Einholmstromabnehmer.
Die HU wurden im Juli 1995 mit der Rückkehr des Wagens 184
beendet. Fortan ist die Typenbezeichnung KT4DM.
TW 184 in der Gördenallee nach erfolgter HU, Aufnahme:
erste Hälfte der 1990er
Jahre,
© Slg. H. M. Waßerroth
Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die VBBr neue Wege
beschreiten müssen, um mit den vorhandenen finanziellen
Mitteln künftig auszukommen. Im Jahr 1995 wurden noch vier
Straßenbahntriebwagen des Typs MGT6D (Nr. 100–103) in
Zweirichtungsbauweise beschafft, aber der Kauf von weiteren MGT6D war nicht mehr machbar, so dass
man den Entschluss fasste, nach dem Vorbild von Cottbusverkehr KT4DM mit einem Niederflurmittelteil
auszurüsten. Das Ziel war die Schaffung eines Fahrzeuges,
das im Fassungsvermögen zwischen dem KT4D-Solowagen und
einer KT4D-Doppeltraktion liegen sollte, um so die
letzteren, die teilweise nicht immer ausgelastet waren, zu
ersetzen.
Um die Wirtschaftlichkeit weiter zu verbessern und den
Energieverbrauch senken zu können, wurde die Umrüstung der
elektrischen Steuerung ebenfalls vorgenommen. Zum Einbau kam
eine leistungselektronische Choppersteuerung, die gegenüber
der ursprünglichen Widerstandssteuerung den
Fahrstromverbrauch um etwa 30% senkt. Der erste Wagen, der
nach Mittenwalde verladen wurde, um ein Mittelteil
einzubauen, war der KT4DM Nr. 177. Dieser Wagen kehrte am
22. September 1997 zurück und präsentierte sich den
Brandenburgern zur 100jährigen Straßenbahnjubiläumsfeier am
27. September 1997 als KTNF6 Nr. 177. Es folgen neun weitere
Wagen mit den Nrn. 170, 172, 176, 178, 181, 182, 183, 184,
185, Der Umbau endete am 18. Dezember 1998 mit der Rückkehrt
des KTNF6 Nr. 172 aus Mittenwalde.
TW 176 mit Niederflurmittelteil am Nicolaiplatz vor
Beginn der Neugestaltung,
Aufnahme am 13.08.2011, © H. M. Waßerroth
Von den ehemals 14 KT4D sind die Wagen Nr. 173, 174, 179,
180 modernisiert, aber weiterhin als Solowagen im Einsatz.
Der erste Tatrawagen in Brandenburg, TW 170, wurde im
Februar 1993 in der S-Bahn Werkstatt in Berlin-Schöneweide
modernisiert und im Dezember 1998 in Mittenwalde mit einem
Niederflurmittelteil nachgerüstet. Er durfte am 03.01.1999 als
erster Tatrawagen geschmückt planmäßig auf der Linie l bis
Kirchmöser-West fahren. Ihm war es auch vorbehalten, am 28.09.2002
die letzte planmäßige Fahrt auf der Überlandstrecke nach
Kirchmöser West anzutreten.
Wünschen wir ihm wie auch allen anderen Fahrzeugen noch
viele Jahre des Einsatzes in der Havelstadt und "Allzeit
eine unfallfreie Fahrt"!
von P. Kotecki (Freunde der Brandenburger
Straßenbahn e.V.,
aus Modellbahn-Kurier Heft 1-2000,
Redaktion H. Wasserroth,
durchgesehen und ergänzt von H. M. Waßerroth,
für alle Fotos gilt: CC BY-NC-ND 3.0 de
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Vers. 1.0.0 vom 19.11.2017
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